Gedichte

das Opfer

mit gesenktem Kopf steht er am Bus
leicht krümmt sich der Rücken
die Blicke bleiben am Boden

nur nicht provozieren,
niemanden ansehen
und doch
schon wieder angerempelt
am Rucksack in den Dreck gezogen
Heulsuse

ein Kumpel hilft,
legt sich mit den anderen an
verteidigt seinen Freund

ab und zu
wird er jetzt in Ruhe gelassen

aber die Opferhaltung
bleibt noch ein paar Jahre

so ein nettes Kerlchen
hat nie einer Fliege was getan
was stimmt denn mit den anderen nicht?

von Ariane Timm

Gedichte

93

93

diese jungen Leute
mit 80 haben die doch keine Ahnung
wie es ist
mit 93
erst kein Auto mehr fahren
dann kein Fahrrad
und jetzt
ohne meinen Rollator
wäre ich aufgeschmissen
aber wenigstens komm ich noch die Treppe rauf und runter
Bescheid sagen, wenn ich unterwegs bin?
mir sagt ja auch keiner was
ich hab schon lange keine Lust mehr
auf dieses alt sein
aber mich fragt ja keiner
mein Mann ist nur 62 geworden
den hat auch keiner gefragt
irgendwie
hat man sich das alles anders vorgestellt

von Ariane Timm

Gedichte

der alte Löwe

ein alter Löwe, der hat’s schwer,
läuft Antilopen hinterher
doch sie sind schneller
leer bleibt der Teller

der Magen knurrt, er fühlt sich schwach
da gibt es einen lauten Krach
ein Jeep mit Touristen, saftig und zart
hat sich in ein tiefes Loch gekarrt

in Afrika scheint heiss die Sonne
der alte Löwe gähnt voll Wonne
sein Bauch nun endlich prall und voll
Essen auf Rädern ist schon toll

von Ariane Timm

Gedichte

Sommer

Sommer

jeden Sommer das selbe Theater
der Mann will grillen
die Frau lieber chillen

du hast doch gar keine Arbeit, mein Schatz
ich such dir auch einen schattigen Platz

nur ein, zwei Würstchen, vielleicht noch ein Steak
wir sind dir auch überhaupt nicht im Weg

was heißt denn wir?
wer kommt denn noch?
na so höchstens 10 Leute,
die kennst du doch

das Essen bringt jeder selber mit
wenn du nur noch eben den Tisch abwischen
und die Stühle saubermachen
und das Grillrost schrubben könntest…

für Salat sorge ich,
in der Kräuterbutter ist ganz viel Grünes,
darauf hab ich extra geachtet

Schatz, warum weinst du denn?
Ach, das sind Lachtränen, na dann…

Siehst du, schon alles fertig,
nur noch Geschirr und Besteck rausbringen,
Gläser, Getränke und Grillsaucen…
du hast Ketchup und Senf vergessen…

warum putzt du denn das Badezimmer?
sind doch gleich alles Männer,
die können auch in den Garten…
Okay, ist ja schon gut,
dann schrubb halt die Toilette

also ich finde so ein Grillabend entspannt echt,
warum bist du denn so KO ?
leg dich doch hin,
ich sag dir später Bescheid
wenn es Zeit zum Abräumen ist

vielleicht packst du vorher noch den Geschirrspüler aus,
dann bist du nachher schneller fertig

hallo?
wo willst du denn mit dem Koffer hin?
zu deiner Mutter?
macht euch einen schönen Abend,
dein Vater kommt gleich hierher,
da gab es wohl Stress wegen Grillen,
versteh ich gar nicht…

von Ariane Timm

Gedichte

Frühlingsgefühle

Frühlingsgefühle

wenn die Maulwürfe wild wieder wühlen
geht es los mit den Frühlingsgefühlen

du musst den Rasen vertikutieren
willst du nicht deine Liebste verlieren

Vorhänge schleppen und Polster klopfen
von der Stirn rinnen die Tropfen

voll Neid siehst du den Tauben zu
sie paaren sich
das willst auch du

träumst von zarten nackten Beinen
die sich um deinen Körper schlingen
und spannst neue Wäscheleinen
irgendwie ist dir nach weinen

die Tauben sitzen in den Hecken
die du jetzt auch noch schneiden mußt
statt mit der Liebsten dich zu necken
bringst du Grünzeug um die Ecken

träumst von zarten nackten Beinen
knusprig braun vom Barbecue
und ein schönes, frisches, kühles
Bier am Besten auch dazu

deine Frau hat andres vor
streichst du noch das Gartentor?
aber bitte trödel nicht
es weicht ja schon das Tageslicht

die Tauben schlafen tief und fest

im frühlingsfrischen Lotternest

mit letzter Kraft schleppst du dich rein
weichst noch kurz den Pinsel ein
deine Hände zittern leicht
das Tagespensum ist erreicht

deine Frau zieht sich jetzt aus
schlüpft ins Bett zu dir hinein
doch du hältst es mit den Tauben
und schläfst ein

von Ariane Timm

Gedichte

Nerven

sie sind das,
worauf dir manchmal alle gehen
mal drahtseilstark
von keinem Auge je gesehen

mal spinnwebleicht
wie ein Kostüm
von dir getragen
mein Kind übt „für Elise“
was soll ich weiter
dazu sagen

der letzte Nerv
als Diebesgut wohl sehr beliebt
jetzt spielt mein Nachbar noch Trompete
bis es aus meinen Ohren piept

ich fühle mich so ausgeraubt
ob mir die Polizei das glaubt?

verhaften sie die Nervendiebe
soweit geht keine Nächstenliebe

dann klingelt heut zum fünften Mal das Telefon
mit wieder einem Hauptgewinn
ich würd es an die Wand gern werfen
so gänzlich blank sind meine Nerven

zum Glück hab ich noch Medizin im Haus
und gehe an den Kleiderschrank
es ist ein Haufen Schokolade drin
Kakao sei Dank

Gedichte

Winter

Winterkälte in meinem Kopf
die Gedanken langsamer werdend
wie gefrierendes Wasser
zu Eiszapfen erstarrt

Mondlicht glitzert kalt
wie Raureif auf meinen Erinnerungen

Entscheidungen entziehen sich mir
zu viele wollen getroffen werden
wie fallende Schneeflocken
unaufhaltsam tanzen
verloren im Schneesturm
meiner Gedanken

Gefühle brechen auf
wie dünnes Eis
unter zu viel Gewicht

Eisblumen wachsen
an den Fenstern meiner Seele
ihre Muster verfolgend
finde ich den Weg
zurück
ins Leben

Gedichte

Landdichter

des Frühsommernebels zart wabernde Schwaden
benetzen wie feuchtkalte Finger die Waden
mit denen ich barfuß im Wiesengrund stehe

der Morgen, er dämmert schon leicht vor sich hin
da fällt es nasal mir wie Blei in den Sinn
mein Nachbar hat gestern wohl Klärschlamm gefahren

der Duft hängt im Nebel und in meinen Haaren
so kann ich nicht dichten
ich flüchte ins Haus
und geh erst mal Duschen
dann seh ich hinaus

der zartgraue Nebel, er löst sich im Licht
doch der griese Gestank folgt ihm leider nicht

ich öffne ein Fenster und die Nase mir sagt
Landdichter sind sowieso nicht gefragt

Gedichte, Trauer

das tiefe Loch

dein Tod hat ein tiefes Loch gerissen
manchmal sitzen wir
so eben
oben daneben
und baumeln mit den Beinen
fast ohne zu weinen
sehen dich im Himmelblau
ganz genau

manchmal sitzen wir
unten am Boden
kein Blick mehr nach oben
für immer verwoben
mit dir

die Brüderkette
ist mit dir gerissen
was alle vermissen
die Mitte
warst du

ein so tiefes Loch
da wächst kein Gras drüber
und doch sitzen wir
manchmal daneben
am Rand nur so eben
und baumeln mit den Beinen
fast ohne zu weinen
sehen dich im Himmelblau
ganz genau

von Ariane Timm ( Anabelle Fury)

Gedichte

Wutkind

morgens muss ich zu früh aufstehn
muss Zähne putzen, zum Frühstück gehn
mein kleiner Bruder grinst wieder dumm
der tolle große nervt auch nur rum

meine Mutter redet die ganze Zeit
ich hör nicht zu
auch nicht, wenn sie schreit

zum Bus lauf ich
wie durch Wolken aus Wut
da seh ich den Loser
und schon geht’s mir gut

hier stehen so viele
ich rempel ihn an
das er sich nicht wehrt
ist das beste daran

in der Schule hat er schon wieder gepetzt
mir den Lehrer auf den Hals gehetzt
zum Glück hab ich Eltern, die mich immer decken
das Opfer wird meine Faust gleich schmecken

für die andern bin ich das liebe Kind
aus gutem Hause
wie blind sie sind

wagt es wer, mir zu trotzen
dann geht es ihm schlecht
ich weiß, meine Eltern
die geben mir Recht

ich hab hier schon Freunde
die sich für mich schlagen
der Verlierer will sich mit allen vertragen

seine Freunde sind meistens
so blöd wie er
sie wollen Streit schlichten
und ich will noch mehr

mein Zeugnis zeigt Einsen
ich mache Musik
doch in meinem Innern
herrscht wütender Krieg

wer wird gewinnen?