Gedichte

Drachenhaut

du siehst mich fast nie weinen
ich steh fest auf den Beinen

mich haut so leicht nichts um
und weißt du auch warum?

ich habe eine Drachenhaut
von Gott dereinst gegeben
er wusste wohl
ich brauch den Schutz
für dies verquere Leben

und dieser Panzer hielt mich fern
so manches mal von Dingen
die dich, der du die Haut nicht hast
mit Schwung zu Boden zwingen

ich helfe dir dann wieder auf
bin immer für dich da
den Schmerz fühl ich gefiltert ja
er geht mir nicht so nah

so lässt mich meine Drachenhaut
aufrecht durchs Leben gehen
wie weich ich bin darunter
wird niemand wirklich sehen

und wenn’s geschieht, das Trauer fällt
flieg ich zum höchsten Berg der Welt
und lass des Kummers kalte Klingen
in Flammen heiss zum Himmel singen

von Ariane Timm (Anabelle Fury)

Gedichte

Vergebung

der letzte Anruf
du wolltest uns nicht noch mehr Kummer machen
und nun stehen wir da
die Urne unten in der Erde
so viele Träume, Wünsche,
Fantasien
und deine Ängste
die du für dich behalten hast
alles nur noch ein Häufchen Asche

ich sehe auf die
von denen du dachtest
sie wären deine Freunde

fühle mich wie ein Atomkraftwerk
meine Wut
im Kern gefangen
nichts strahlt nach Außen
aber mein Innerstes verbrennt

es fällt mir schwer
wenn ich sehe
sie sind so alt wie du
ihr Leben geht weiter
warum bist du nicht mehr da

wie soll ich ihnen vergeben

und wenn ich in den Spiegel sehe
mit meiner Schuld leben
jeder hat woanders versagt

auch dir muss ich vergeben
warum hast du dir das angetan
allein entschieden
keine Chance mehr für uns

obwohl
ich dich meistens nicht verstehen kann
manchmal doch
wenn ich zurück sehe

ich habe von dir geträumt
wir haben gelacht
unter Tränen

vergeben heißt nicht vergessen
aber loslassen
wie ein Ballon in den Himmel steigt
zu dir
ich hab dich lieb

von Ariane Timm (Anabelle Fury)
für Torge

Gedichte

Abschied

irgendwann werde ich hier nicht mehr wohnen
also aufräumen
sich immer wieder der Vergangenheit stellen
mit jedem Karton
Fotoalbum
Aktenordner
mit jedem vollen Schrank
Regal
nichts ist egal
alles hat noch Wert
oft unbeschwert
vieles berichtet
und wird doch vernichtet
manchmal ist die Vergangenheit
wie ein Gewicht am Bein
wenn du dich nicht von ihr trennst
verlangsamen sich deine Schritte
und irgendwann schaffst du es nicht mehr weiter
manchmal hilft der Blick zurück
aber auch
den Weg nach vorn anzutreten
und doch
vier Generationen lebten mal hier
drei Dachböden voll
und jetzt kommen wir
und schaffen dadurch
das wir hier aufräumen
den Platz zur Erfüllung
von anderen Träumen
irgendwann werden wir hier nicht mehr wohnen
aber das wichtigste nehmen wir mit
uns
zusammen
sind wir
zu Hause

von Ariane Timm ( Anabelle Fury)

Gedichte

Weihnachtsschmaus

kalter Schnee vorm warmen Haus
heile Welt zum Weihnachtsschmaus

leider hat das süsse Kätzchen
an den Weihnachtsbaum gepinkelt
so das nun die gute Stube
zimt und ammoniakig stinkelt

festlich leckere Gerüche
Mutter macht seit Tagen Essen
dringen auch nicht aus der Küche
den Braten hat der Hund gefressen

Oma grinst voll Schadenfreude
packt ihr altes Sushi aus
der Geruch treibt uns gleich alle
einmal Luft schnappen vors Haus

in der Kälte merken wir
keiner hat den Schlüssel mit
Oma drinnen trinkt ein Bier
und hört Heinos neusten Hit

hört uns klingeln nicht
noch klopfen
gönnt vom Likörchen sich zwei Tropfen
wir sehen, wie sie fröhlich schmatzt
und Papa jetzt der Kragen platzt

ins Restaurant zum goldnen Bogen
sind wir durch den Schnee gezogen
da riecht es nicht nach Katzenpii
und Pommes wärmen schön von Innen
wir stopfen uns mit Burgern voll
froh, Omas Sushi zu entrinnen

die hat schließlich auch gemerkt
das sie feiert ganz allein
stellt den Heino ab, hört’s Klopfen
und lässt alle wieder rein

frohe Weihnacht allerseits
kalter Schnee vorm warmen Haus
das war dieses Jahr mal echt
ein besonders schöner Schmaus

von Ariane Timm (Anabelle Fury)

Gedichte

Trümmer

Nach dem Krieg
gehörten sie zum Alltag
in den zerbombten Städten
zwischen den zerstörten Häusern
klopf klopf klopf
der Klang der Steine
von den Trümmerfrauen
für den Wiederaufbau
in Form gebracht

Heute
im Frieden
in den heilen Häusern
sitzen die Trümmermenschen
umgeben von Beziehungsschutt
klopf klopf klopfen die Gedanken
an den Partner
der nicht mehr da ist
die Kinder
mit all ihren Ansprüchen
die Arbeit im Schichtdienst
im Minijob
manchmal auch abgeschoben
nicht mehr vermittelbar

ein schmaler Grat
auf dem sie balancieren
rechts der finanzielle Abgrund
links der nervliche

klopf klopf klopf
im Kopf
staubt es
wirbeln die Gedanken

durcheinander

organisieren
von früh bis zu spät
wer nimmt die Kinder
tauscht die Schicht
macht die Hausarbeit
hört mir abends noch zu

und manchmal
zwischendurch
Ruhe
alles geschafft
Zeit für mich
für meine Nerven
mit dem Ende des Klopfens
beginnt die Zeit
die dem Wiederaufbau gehört

von Ariane Timm

Gedichte

80 kg

Mit 100 kg.
bin ich Rad gefahren
schwimmen gegangen
Klamotten kaufen
kein Problem
über Bewegung gar nicht nachgedacht
war alles selbstverständlich

nochmal 80 kg. weiter
nichts geht mehr
Radfahren schmerzt
so wie jeder Schritt
und die abfälligen Blicke
beim schwimmen
beim Klamotten kaufen
beim Essen gehen
bleib ich doch lieber zu Hause
selbstverständlich bewegen
ein ferner Traum

wer sagt, auf das Aussehen kommt es nicht an
ist noch nicht dick gewesen
hat die Verachtung, Unverständnis, Ablehnung
nicht gespürt
am eigenen Körper
der mir zum Verräter geworden ist

hab mich zu lange nicht wahr genommen
bis es fast zu spät war
komm ich hier wieder weg
finde ich die Kraft
mein Körper erdrückt mich
mein Kopf noch viel mehr

die tollen Tips der anderen
fallen wie Blei in meine Gedanken

ich hab mich hierher gebracht
und ich hole mich zurück
ins Leben
irgendwann
werde ich wieder
Rad fahren
schwimmen
laufen

aber niemals
werde ich einen übergewichtigen Menschen
verächtlich ansehen

von Ariane Timm ( Anabelle Fury)

Gedichte

einfach

einfach mal die Augen schließen
und in den Himmel sehen
direkt in die Sonne

ohne Augenblick Licht und Wärme genießen

nicht auf das Kraut in der Dachrinne sehen
nicht die Fenster, die schon lange keiner geputzt hat
nicht das blätternde Fachwerk, das gestrichen werden muss

die meisten Tage enthalten so viele Spuren von Müssen

wenn ich abends im Bett liege
und mich überfällt
was ich alles nicht geschafft habe

erinnere ich mich
an den zeit und augenblicklosen Moment
vielleicht nur eine Minute
oder sogar fünf

wenn einfach mal
immer so einfach wäre

Gedichte

Absicht

liebe Leute, gebt gut acht
wer hier vorn jetzt steht
hat Macht

über euch, die ihr dort sitzt
mit den Ohren stramm gespitzt

denn ihr seid wie Marionetten
an den Fäden seiner Worte
legt sie leicht um euch wie Ketten
und schon kann euch nichts mehr retten

zieht er hier, bringt euch das Tränen
zieht er dort, gibt es ein Gähnen
dieser Faden lenkt zum Lachen
jener lässt wohl Zweifel wachen

peitschengleich schwingt er die Sätze
oder hüllt euch ein in Watte
seine Absicht, ja, die Absicht…
ob er wirklich eine hatte?

wenn er keine hat… okeh
dieser Vortrag tat nicht weh

doch nicht immer kommt davon
ihr so einfach ungeschoren
blinzelnd wundern sich die Augen
fragend wackeln eure Ohren

gerade habt ihr was gehört
das euch irgendwie verstört

denn da hat doch wer tatsächlich
einfach so und ungefragt
einen von den leisen Teilen
ohne Rücksicht laut gesagt

und verkauft sein Publikum
ganz für dumm

darum, Leute gebt gut acht,
meistens hilft es, wenn man lacht
ungläubig oder von Herzen
lässt sich mancher Quatsch verschmerzen

von Ariane Timm (Anabelle Fury)

Gedichte

der dümmste Satz

der dümmste Satz, den ich je gehört
war
wie sieht das aus, was sagen die Nachbarn

so hast du gefegt,
wenn sie noch nicht wach warn

immer im Blick
die reißende Meute
der anderen Leute

das war für dich
der Antrieb im Leben
niemandem Anlass zum Reden zu geben

alles zu schlucken
dich weg zu ducken

und nur hinter wohlgeputzten Türen
das Leben eines Diktators
zu führen

wenn alle nach deinem Willen leben
würde es viel mehr Sauberkeit geben

tanz nicht aus der Reihe
und sei immer brav

sonst raubt dir
das Reden der Leute
den Schlaf

auf die heile Fassade
da kommt alles an

was dahinter passiert
wo sich sammelt der Dreck
wo das Glashaus hat Risse
in jedem Eck

das bleibt unter uns
das schweigen wir nieder
du machst das nicht mit
dann merkst du gleich wieder

die heile Welt ist zwar nicht echt
doch wer sich nicht anpasst
bekommt hier kein Recht

es sei denn

du lebst in deiner Welt
egal, ob andern sie gefällt

wenn du den Besen schwingst
ganz früh oder im Dunkeln
dann ist es dir egal
was deine Nachbarn munkeln

erhalte dir das Lachen
mach auch verrückte Sachen

und vergiss nicht
das ist wichtig
so wie du es machst
ist’s richtig

von Ariane Timm

Gedichte

the frog

there once was a frog
who got lost in the fog

where he saved a small spider
from a puddle of cider

then he rescued a hog
who was trapped in a bog

freed a rabitt (or hare)
from a trap (or a snare)

found the lost golden ring
that just lay on a swing

helped a tottering gnome
who got stuck in some loam

now the sun is coming out
and a crowd is cheering loud

but from the fast receding fog
hopped no hero- just a frog

he jumped back into the lake
and got eaten by a snake

wrote from heaven me a letter
said :   this ending could be better

von Ariane Timm ( Anabelle Fury)